COMIC MARKET 66 – ein Gutachten
Autor: Fan-Yi Lam
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 39, Seite 48, Oktober 2004
Tokio ist das Mekka der Otakus, und die COMIKET (Abk.) ihre id ul-adha. Dass westliche selbsternannte Otakus das für sich auch so sehen, war schon immer mysteriös, ist die COMIKET doch etwas, das nicht nur in ihren Dimensionen gar kein westliches Äquivalent kennt: nämlich die weltgrößte Doujinshi-Messe.
Vielleicht ist das der Grund, dass man auf westlichen Webseiten meist nur Infos zu den Cosplayern vorfindet, die Doujinshi-Zirkel dagegen aber kaum Beachtung finden. Wie auch immer, so bekannt die Comiket unter westlichen Fans auch ist, scheint sie doch von diesen kaum frequentiert. Während im heißen, schwülen Sommer die Straßen von Akihabara oder Shibuya voll sind von weißen Gesichtern mit schweren Tüten in den Händen, sind sie auf dieser doch angeblich so bedeutsamen Veranstaltung eine wahre Rarität.
Das mag an der Touristenfeindlichkeit der COMIKET liegen (der einzige englische Text im Katalog ist die Hausordnung!), vielleicht aber auch an den Myriaden schwarzhaariger Besucher, die bei manchem schnell eine Identitätskrise auslösen könnten. Zumindest verlocken sie einen zu solch seltsamen Gedankengängen, während man in einem von vielen anderen 20x40m Menschen-Blocks zusammengepfercht auf den Einlass wartet, weil man natürlich nicht den Anweisungen des Katalogs („Erstmalige Besucher sollten erst zur Mittagszeit kommen.“) gefolgt ist.
Da man bereits auf diversen Doujinshi-Verkaufsmessen war, die mit teilweise 10.000 Zirkeln auch fast schon COMIKET-Ausmaße annahmen, war man natürlich vorbereitet: Lange vor der Veranstaltung war bereits der Katalog gekauft, Lagepläne memoriert, die Stände der Lieblingszirkel verinnerlicht und ein Strategie-Plan ausgearbeitet. Natürlich alles vergebens. Die wahren Veteranen campieren schon lange vor Tagesanbruch vor dem Gelände, und das aus gutem Grund: Als man knapp 30 Minuten nach dem öffentlichen Einlassbeginn in die gewünschte Halle eintrat, war der erste Zirkel der Liste (natürlich der Lieblings-Zirkel) bereits ausverkauft, und den zweiten Ziel-Zirkel zierte eine vierfach gefaltete Schlange, die sich über das ganze Außengelände zog.
Zirkelmitglieder mit Lautsprechern und Schildern („Hier ist nicht das Ende der Schlange!“) liefen herum, dazu die erfahrenen Doujinshi-Otakus, die mit ausgefeilten Gruppenstrategien (aka Rudel-Taktik) Raubkatzen gleich zwischen den ganzen Besuchern huschten. Nach zwei Stunden Kampf hat man die von vorneherein sehr eingeschränkte Wunschliste abgearbeitet: Bei sieben der zehn erhofften Zirkel war man erfolgreich. Ein nicht schlechtes Ergebnis.
Gut genug um sich einen Hotdog für 300 Yen zu gönnen. Danach konnte man es dann etwas geruhsamer, wenn auch immer noch mit angespannten Sinnen, angehen lassen. Schließlich war es der Bishoujo-Tag, also der, auf den alle männlichen Otakus Japans (und nicht nur die) sehnlichst gewartet haben. Die anderen Tage hatten Bishounen und Diverse als Themen, waren daher für einen selbst etwas ruhiger und man konnte sich auch auf Dinge außerhalb der Zirkel-Hallen konzentrieren. So war am Bishounen-Tag der Händlerraum die Halle der Wahl: eine Halle voll mit Bishoujo-Game-Herstellern, die ihre neusten Produkte präsentierten. Eine Wohltat, nachdem man in den anderen Hallen von unzähligen gut aussehenden, sich gegenseitig die Kleider vom Leib reißenden 2D-Boys begrüßt worden war.
Und wenn man dann genug von den ganzen schwitzenden, leider realen Männerleibern im hoffnungslos überfüllten Händlerraum hatte (oder das Geld ausgegangen war), konnte man auf die Cosplay-Terasse ausweichen, wo trotz noch größerer Enge die gnadenlose Sonne und der starke Wind einen erst gar nicht zum Schwitzen kommen ließ. Natürlich wird die COMIKET ihrem Ruf des besten Cosplays gerecht, doch das Beeindruckendste war zweifellos die Menge an Sonnenbränden, vor allem bei den zahlreichen Fotografen, die teilweise ein halbes Profi-Fotostudio um den Hals hängen hatten.
Hier war der Ausländeranteil dann auch überdurchschnittlich hoch. Der Mixed-Day war der Tag der Entdeckungen. Man konnte durch die Hallen laufen und schmökern und schauen, so viel man wollte. Und immer wieder fand man Neues und Interessantes, seien es Regierungs-feindliche Doujinshis, Beat’em-Up-Games mit bekannten Animefiguren, oder Kalender, in denen großbrüstige Schönheiten in Nazi-Uniformen posierten. Und schließlich das Kurioseste: Eine Ausstellung über Manga-Fans aus aller Welt, wo einem plötzlich bekannte Gesichter aus der Heimat entgegenlachten: Der Schwerpunkt war diesmal Deutschland.
Comic Market 66
Ort: Tokio, Big Sight (Japan)
Zeit: 13.-15. August 2004
Zirkel (Bewerbungen): 35.000 (52.000)
Anzahl Besucher:
1. Tag ~ Bishounen: 160.000 (6.097 Cosplayer)
2. Tag ~ Mixed: 170.000 (6.120 Cosplayer)
3. Tag ~ Bishoujo: 180.000 (2.786 Cosplayer)
Katalog-Preis (Vorverkauf):
Buch: ¥2.200
CD-ROM: ¥1.700
Homepage: www.comiket.co.jp (jpn.)
Der Comic Market 67 findet vom 29. bis 30. Dezember 2004 statt.
Anime Expo Tokyo 2004
Autor: Fan-Yi Lam
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 37, Seite 40, April 2004
Eines Tages kamen die SPJA (1) und die JASFIC (2) auf die Idee, die bis dato größte Anime-Con Nordamerikas (und damit der Welt), die Anime Expo, nicht nur im sonnigen Kalifornien, sondern auch mal im Ursprungsland stattfinden zu lassen. Und so wurde sie beschlossen: eine völkerverbindende Anime Expo Tokyo.
Und um das Fazit vorwegzunehmen: Sie wurden ihren hohen Ansprüchen keineswegs gerecht. Das merkte man alleine schon daran, daß man nicht – wie in Japan üblich – an der Tageskasse und beim Eintritt eine Zeitlang anstehen musste und selbst in der Hochphase zur Mittagszeit nicht nur genug Raum zum Atmen hatte, sondern sich auch frei und ungebremst bewegen konnte. Kein Wunder, hat sich der Großteil der angeblich 4600 japanischen Besucher doch sehr gut versteckt.
Programmäßig wird sich der westliche Fan über das „mäßige“ Händler- und Filmangebot gewundert haben, gab es statt „Händlern“ doch eher Aussteller und in den paar Filmräumen wurden nur ein paar Filme zu Promotionszwecken gezeigt. Genauso befremdet wie diese über das sehr unterhaltsame öffentliche Seiyuu-Casting waren, waren die Japaner wohl über eine (leere) „Cosplay Dance Party“ oder das Cosplay-Contest („Masquarade“). Letzteres ist zwar mit 13 Gruppen etwas klein geraten, aber dafür sehr interessant geworden.
Nicht nur wurden hervorragende Kostüme, sondern, hierzulande leider noch eher unüblich, auch einfallsreiche Sketche bühnenreif präsentiert. Gewonnen haben zwei Lady Oscar-Cosplayer, die eine alte japanische Werbung parodierten, bei der sich die japanischen Gäste krummgelacht haben, während die westlichen Gäste befremdet, aber freundlich lächelten. Der zweite Preis ging an eine Großfamilie mitsamt Kleinkind, die als die gesamte Inu-Yasha-Truppe auftrat, und ein Spezial-Preis ging an einen Big-Robot-Cosplayer mit ausfahrbaren Krallen und schwenkbarem Visier.
Die Bühne wurde jedoch weitestgehend für die Promotion von Firmen und neuen Anime-Filmen verwendet. Hier geriet die wohlgemeinte Völkerverständigung dann auch fast zur Farce. Nicht nur hatte der unsympathische amerikanische übersetzer den gut aussehenden japanischen Moderatorinnen wenig entgegenzusetzen, er wurde von ihnen auf offener Bühne sogar veräppelt, worüber sich die japanischen Besucher ganz besonders amüsiert haben.
Was die gesamte Veranstaltung rettete, waren neben dem Cosplay sicher die vielen Diskussionsrunden mit vielen bekannten und weniger bekannten Größen und Newcomern aus der Industrie. Leider zeigten gerade die Japaner wenig Interesse an internationalen Themen z.B. über weltweite Anime-Cons. Insgesamt konnten die Veranstalter über 30 Ehrengäste (eine handvoll amerikanische mit eingeschlossen) mobilisieren, von denen der bekannteste wohl Akamatsu Ken (Love Hina) war.
Bei dessen überraschend lockerer Autogrammstunde konnte man dann die am Morgen vermisste Wartezeit nachholen. Laut den Veranstaltern soll dies nicht die letzte AX Tokyo gewesen sein. Jedoch kann man kaum sagen, daß die AX Tokyo 2004 ein finanzieller Erfolg war. Das lag einerseits an dem geringen Interesse der Japaner und zum anderen an der starken Japanisierung der Con, welche dann nicht mehr die üblichen Vorstellungen der westlichen Besucher erfüllte.
Die Ursachen sind vielfältig, liegen aber nicht nur an der für solch ein Event sehr geringen Werbung in Japan (ein paar Zettelchen im Gamers). Diese Art von Anime-Cons gibt es nämlich in Japan nicht. Die Japaner konnten daher wenig mit einer „amerikanischen Con auf japanischem Boden“ anfangen, genauso wenig mit den für eine solche Veranstaltung nicht unüblich hohen Preisen. Die paar japanischen Firmen sahen in der AX Tokyo dagegen eher eine alternative, stärker internationale Tokyo Anime Fair. Insgesamt wird sich der japanische Besucher wohl mehr amüsiert haben als der auf seine traditionelle Anime-Con pochende westliche Fan. Wie auch immer, man darf gespannt sein, wer sich bei einer Fortsetzung stärker durchsetzen wird, die Japaner oder die Amerikaner. Unbestreitbar ist es ein schönes, aber sehr teures Prestigeobjekt.
(1) SPJA = Society for the Promotion of Japanese Animation
(2) JASFIC = Japanese Association for Science Fiction International Communication
Anime Expo Tokyo 2004
Kürzel: AX Tokyo
Zeitraum: 16.-18. Januar 2004
Eintritt (normal): ¥3.000 – ¥7.000 (ca. € 24-55)
Besucher: angeblich 5000 (400 aus dem Ausland)
Broccoli 10th Anniversary Festival
Autor: Fan-Yi Lam
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 37, Seite 41, April 2004
Broccoli ist nicht nur Gemüse, sondern eine der größten Mischfirmen im Bereich Anime.
Deren Jubiläumsfeier fand nun direkt neben der AX Tokyo statt. Und sie hatte in den paar Stunden mehr Besucher als die AXT an allen drei Tagen zusammen! Daher war es in der kleinen Halle ziemlich beengt. Zumal praktisch jeder Besucher zur Rechten und Linken je eine dicke fette Tüte voller Merchandise hatte. Nicht Geschenke, wie auf der TAF, sondern gekaufte.
Schließlich ist diese Veranstaltung eine „typische“ japanische „Con“ gewesen. Kurz: kommerziell bis zum Erbrechen. Für je 100 in Broccolis hauseigenem Gamers-Shop ausgegebene Yen gab es einen „Gema-Point“. Die konnte man dann an einem Stand für teilweise sehr rares Merchandise (10-100+ Gema-Points) eintauschen, für einen Sitzplatz (20) bei einer der vielen Shows oder für einen der zu wenigen Plätze (50) bei der allerersten Autogrammstunde der äußerlich unscheinbaren Mangaka Koge Donbo (Pita Ten), Garant für Broccolis großen Erfolg.
Bei den Shows hatte Broccoli natürlich alle seine Star-Seiyuu aus den DiGi Charat– und Galaxy Angel-Anime mitgebracht und noch viele mehr. Es gab auch ein paar interessante Vorträge (20), u.a. vom Firmenchef höchstpersönlich inklusive Besuch einer Star-Seiyuu. Die Spiele mit einem 50-Euro-DiGiCharat-Artbook als Hauptpreis kosteten Geld oder Gema-Punkte (10) und waren entweder unmöglich (Kugelspiel) oder supereinfach (Dart, ^_^).
Interessant waren auch die vielen Tafeln zu Broccolis Geschichte und seinen Produkten (=Werbung). Händler gab es außer Gamers natürlich keine, dafür waren hier einige bekannte Aussteller, die dieses Event der AXT vorgezogen haben. Zwar gab es verbilligte Kombi-Karten für Broccoli und AXT, doch war hier kaum ein Ausländer zu sehen. Aber die hatten schließlich auch einen großen One Piece-Event am Vortag gleich nebenan verpaßt.
Broccoli 10th Anniversary Festival
Ort: World Import Mart, Tokyo
Zeitraum: 18.1.2004, 11-17.30 Uhr
Eintritt (Tageskasse): ¥1.000, ¥2.000 (mit Telefonkarte), Kinder frei
Besucher: VIELE Tausend
Gäste: VIELE bekannte Seiyuu, Mangaka und Broccoli-Schlipse
Weblink: www.broccoli.co.jp
Tokyo Anime Fair 2004 – Ein Fest für die ganze Familie
Autor: Fan-Yi Lam
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 37, Seite 41, April 2004
Was für den Hightech-Otaku die CeBIT ist, ist für den Anime-Otaku die alljährliche TAF.
In ihrem nunmehr dritten Jahr pilgerten wieder Massen aller Altersgruppen hin zum Tokyo Big Site, so dass man sich in eine dreispurige, gut 200 Meter lange Schlange einreihen durfte. In den zwei Ausstellungshallen, in denen die Hauptevents stattfanden, präsentierten sich Firmen aus aller Welt. Broschüren und Tüten wurden verschwenderisch an die Besucher verteilt. Die Stände der Studios und Firmen mit beliebten Serien wie Naruto oder Hagaren waren in kürzester Zeit von Massen kaufsüchtiger Teenager umlagert. Auf der Event-Bühne wechselten sich Life-Acts zu Kinderanime wie Pretty Cure mit Werbeveranstaltungen zu neuen Mitternachts-Anime wie Bakuretsu Tenshi ab.
In der Kinderecke kamen neben dem Trailer zum nächsten Doraemon-Movie daher auch die zum Devilman-Realfilm. Interessant waren auch die amerikanischen Firmen (ADV, Tokyopop etc.), denn diese präsentierten als beinahe einzige Firmen auch Manga („American Manga“). Höhepunkt der US-japanischen Kooperation war die Premiere der OVA Makasete Iruka! aka Grrl Power, die noch vor Japan in den USA veröffentlicht werden soll. Regisseur Daichi (Jubei-chan) und der ADV-Vertreter strahlten dabei um die Wette.
Ausländische Privatbesucher waren natürlich auch da, wenn auch eher orientierungslos und in Gruppen. Unter den präsentierten neuen Anime gab es kaum überraschungen, waren die meisten doch schon längst bekannt. Nur bei den neuen Sommer-Bishoujo-Anime dürfte einigen der Atem gestockt haben. Was übrigens auch auf die vielen Stand-Cosplayer zutraf, wenn man z.B. bei Gainax von Minawa-chan höchstpersönlich einen Werbezettel in die Hand gedrückt bekam.
Händler im eigentlichen Sinne gab es keine, jedoch haben einige Stände auch (Promotions-)Merchandise oder alte Cels verkauft. Kommen wir also zur Frage, ob es sich lohnt, seine Japan-Reise auf die TAF hin zu planen? Die Antwort ist: nein. Dazu ist sie zu sehr auf den japanischen Allgemein-Geschmack ausgerichtet und außerdem sind gute Sprachkenntnisse von nöten.
Tokyo Anime Fair 2004
Ort: Tokyo Big Sight, Japan
Zeitraum:
25.-26.01.2004 (Business Days)
27.-28.01.2004 (Public Days)
Eintritt (Tageskasse): ¥1.000 bzw. ¥500 ermäßigt
Der CosDay
Autor: Benjamin Gauß
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 42, Seite 53, Juni 2005
Vom gemeinsamen Einkaufen zum größten Cosplaytreffen Deutschlands…
Es war eigentlich mehr ein gemeinsames Einkaufen denn ein Usertreffen, als Ka-chan zum ersten CosDay im Juni 2004 aufrief. Die Idee war simpel: Bis zur nächsten Con war es noch ein gutes Stück und man wollte wieder etwas im Cosplay unternehmen. Alleine oder in einer kleinen Gruppe war es schon ausgereizt – warum also nicht in eine größere Stadt gehen und sich gruppieren?
30 Leute waren es insgesamt, als Ende Juni der erste CosDay losging. Über die verschiedenen Treffen wuchs der CosDay immer weiter an. Das merkte man auch im direkten Vergleich des ersten mit dem zweiten CosDay. Wo man bei der ersten Veranstaltung noch mit Not in ein Restaurant oder Café gehen konnte, war das bei der zweiten wegen der Teilnehmerzahl schon nicht mehr möglich.
Der Teilnehmerkreis des CosDays stieg weiter an und bereits nach dem zweiten CosDay wurde ein Special in Heidelberg veranstaltet – es sollte nicht das letzte sein, denn Anfang Januar wurde in Koblenz ein weiteres CosDay-Special abgehalten! Das fünfte Treffen der Cosplayer aus ganz Deutschland wurde dann komplett unter einem ersten Motto geführt. Da es auf Halloween zuging, lautete es: „Horror Special“. Aber der CosDay konnte nicht nur mit Themenbezug punkten – einer der größten Reize des CosDays ist es nämlich, daß sich die Organisatoren zu jedem Treffen mittlerweile etwas Besonderes ausdenken!
War es zum fünften Treffen im November 2004 noch das Horrorspecial, fanden sich die Besucher auf dem achten CosDay im Januar 2005 auf einer Eisfläche des Frankfurter Eisstadions wieder – immerhin 120 Cosplayer waren auf der Eisfläche, was so manchen „normalen“ Besucher des Eisstadions verwunderte.
Übrigens bekämpft der CosDay eines der größten Klischees, die in der Szene kursieren: die angeblichen Vorurteile von Außenstehenden! Immer öfter passiert es, daß Leute auf die Cosplayer zugehen und ganz offen fragen, was das für eine Veranstaltung sei, was damit bezweckt oder ausgedrückt werden soll und ob dies regelmäßig angeboten werden würde. Diese Entwicklung zeigt sich auch darin, daß mittlerweile Lokalpresse und Jungjournalisten auf künftige CosDays kommen und darüber berichten wollen.
Daß der CosDay den Besuchern wichtiger ist als irgendwelche gepuschten Ereignisse im Szeneleben, bewies der CosDay im März 2005. Trotz des Moi dix Mois Konzerts in München, kamen 126 Besucher nach Frankfurt, um sich zu treffen, statt mit einem japanischen Musiker zu feiern. Dies zeigt wunderbar auf, wie wichtig den Besuchern der CosDay ist. Denn es waren proportional mehr Besucher auf dem CosDay, als auf dem besucherstärksten Treffen im vorgehenden Monat des Jahres.
Aber was bringt die Zukunft? Der CosDay wird in erster Linie so weitergeführt, wie er bisher ablief – primär wird er immer das Treffen von Cosplayern bleiben, das er schon immer war. Allerdings beginnt man nachzudenken, ob der CosDay ab und zu zu etwas größerem ausgebaut werden kann. Ein Bühnenprogramm in einer Halle, eine Animenacht unter Themenbezug an einem bestimmten Ort, eine Schnitzeljagd, ja sogar ein Wochenende beim Zelten. All das kann man realisieren – und vielleicht wird es auch schon in der nächsten Zeit Wirklichkeit.
Die Arbeit und das Engagement von vielen Mitarbeitern gibt dem CosDay einen Kern, der die Veranstaltung schon knapp vor ihrem einjährigen Bestehen zu dem größten Cosplaytreffen und zweitgrößten Szenetreffen Deutschlands macht – Tendenz steigend, denn seit dem dritten CosDay ist das Treffen kein nationales Treffen mehr, da seitdem bereits Besucher aus Österreich das Treffen international machen!
Es wird nun auch die Internetpräsenz des CosDays neu unter www.cosday.de aufgelegt, damit auch Nicht-Animexxer immer an aktuelle Infos und Termine kommen können. Somit bleibt es dem Leser nur noch überlassen, ob er sich dieser stetig wachsenden Gemeinde anschließen und auf einen CosDay kommen will… Die 138 Besucher des neunten CosDays können sich nicht irren: Es lohnt sich – und es wird ein Wiedersehen geben!
Dolls – KITANO Takeshi läßt die Puppen tanzen
Autor: Brit
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 38, Seite 39, Juli 2004
Als Kitano vor vielen Jahren als Liftboy in Asakusa arbeitete, sah er dort an manchen Abenden ein Bettlerpaar durch die Straßen gehen, das mit einem Stück roten Seiles aneinander gebunden war. Die Leute des Ortes lachten über sie, ohne zu wissen, wer sie waren, woher sie kamen oder warum sie aneinander gebunden waren. Der Anblick dieser beiden Bettler hinterließ einen so tiefen Eindruck in Kitano, daß er dieses seltsame Paar in seinem Film Dolls thematisierte.
Ein junger Mann erfährt am Tage seiner Hochzeit, daß seine ehemalige Verlobte einen Selbstmordversuch begangen hat. Ohne zu zögern fährt er zu ihr ins Krankenhaus, doch sie erkennt ihn nicht. In völligen Autismus versunken sitzt das Mädchen da und spricht kein Wort. Ohne einen weiteren Gedanken an seine Zukunft wirft der Mann sein bisheriges Leben über Bord und nimmt sie, an eine rote Kordel gebunden, mit sich.
Unterwegs kreuzen sie ihre Wege mit anderen Menschen, deren Schicksale sich in eigenständig erzählten Geschichten offenbaren. So kommen sie an einer Straße vorbei, in der ein alter Yakuza-Boß wohnt, der nach vielen Jahrzehnten immer noch an seine Jugendliebe denkt. Und weiter außerhalb der Stadt begegnen sie einer jungen Popsängerin, die weitab von allen Menschen allein am Strand sitzt und depressiv aufs Meer hinaus schaut.
Dolls, der 2002 mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet wurde, ist ein sehr poetisch-lyrischer, aber auch sehr realistischer Film, der sich in drei Kurzgeschichten mit dem Thema Liebe beschäftigt. Ähnlich wie bei den TV-Dramen im japanischen Fernsehen ist hier jedoch nicht an die erfüllte, große Liebe zu denken, sondern eher an eine Liebe, die von Selbstsucht und Narzißmus geprägt ist, aber auch Trauer, Leid, Einsamkeit und Schuldgefühl spielen eine große Rolle. Jeder der Protagonisten ist von einer eigenen, selbstsüchtigen Vorstellung besessen, welchen Weg er einschlagen und wie er handeln soll.
Im Gegensatz zu anderen Filmen von Kitano, die fast alle im Yakuza-Milieu spielen und für ihre brutale Gewaltdarstellung bekannt sind, ist Dolls nicht körperlich grausam, dafür aber umso mehr seelisch, und auch dies nicht nur durch Worte, sondern hauptsächlich durch Taten. Wie der Titel des Films schon verrät, ist Dolls eher als Bühnenstück zu verstehen. Das traditionelle japanische Puppentheater, Bunraku, lieferte hier die Vorlage.
Kitano sagt in einem Interview dazu, daß der Film in Form einer Geschichte mit Bunraku-Puppen konzipiert wurde und die in Form einer Puppentheateraufführung mit menschlichen Figuren erzählt wird. Der gesamte Film ist wie ein gigantisches Bühnenstück gehalten, in dem menschliche Puppen spielen. Das spiegelt sich sowohl in den Farben als auch in den Kameraeinstellungen wieder. Für einen Kitano-Film ungewöhnlich bunt, ist Dolls ein wahres Feuerwerk an Farben.
Der Film ist in vier Teile geteilt, die durch die Jahreszeiten symbolisiert werden. Jede Jahreszeit wurde so klischeehaft wie möglich dargestellt, was dem Film ein Gefühl von einer riesigen Fotoausstellung gibt – Kirschblüte im Frühling, die schillernde See im Sommer, roter Ahorn im Herbst und Schnee im Winter. Durch diese Landschaften gehen nun Matsumoto (NISHIJIMA Hidetoshi) und Sawako (KANNO Miho, u.a. The Ring 2) in ihren aufwendigen, leuchtenden Kostümen, wodurch sie so unrealistisch für die dargestellte Welt wirken. Sie scheinen eher zur Welt der Toten zu gehören als zu den Lebenden, Puppen, für die das menschliche Geschehen keine Bedeutung mehr hat.
Dolls ist ein typisch japanischer Film. Die Szenen sind sehr lang, es gibt wenig Schnitte und auch nur wenig Kamerabewegung. Alles wirkt sehr bühnenhaft. Die Hintergründe der einzelnen Charaktere erklären sich in unzähligen, größtenteils unkommentierten Rückblenden. Es wird kaum gesprochen und auch die Hintergrundmusik ist nur sehr spärlich. Die Gefühle und Gedanken der Protagonisten erschließen sich während des Sehens für den Zuschauer, und gerade der Mangel an Worten ist es, der Dolls so ergreifend macht. Oft sitzt man davor und denkt sich „Warum sagt er es nicht?“ und im nächsten Moment denkt man sich „Weil er nicht über seinen Schatten springen kann.“
Die Kostümausstattung von Dolls, entworfen und gefertigt von YAMAMOTO Yohji, wurde bereits von vielen Kritikern hoch gelobt. Die Kleidung der Hauptdarsteller sticht besonders durch die verwendeten Farben hervor, die an die jeweilige Jahreszeit angepaßt sind. Sie gibt sowohl durch die aussagekräftigen Farben als auch durch die an traditionelle Vorlagen angelehnten Schnitte die innere Welt der Figuren nach außen hin preis. Wem das noch nicht Grund genug ist, sich Dolls anzusehen, sollte es spätestens deshalb tun, weil es einer der besten Takeshi-Filme ist. In diesem Film sind zahlreiche Lebenserfahrungen Kitanos verarbeitet und führen dem Zuschauer vor Augen, wie selbstsüchtig manche Handlungen doch sind und wie wichtig es ist, eine Entscheidung zu treffen.
Dolls
Drehbuch und Regie: KITANO Takeshi
Darsteller: NISHIJIMA Hidetoshi, KANNO Miho u.a
Produktion: Bandai Visual, Tokyo FM, Television Tokyo & Office Kitano
Kostüme: YAMAMOTO Yohji
Musik: HISAISHI Joe
Entstehungsjahr: 2002
Alterseinstufung: FSK 12
Land: Japan
Spieldauer: 108 Minuten
Deutsches DVD-Release 2004, Deutsch, Japanisch (OV) mit deutschen Untertiteln 2. DVD mit Specials, ca. 74 Min.: Filmographien, Biographien, Interviews, Scenes from the shot, Venice Film Festival 2002, Original Trailer, Trailer
Fancomic: Peromi 22 Teil 2
Zeichner: Stefan Nesemann
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 38, Seite 47, Juli 2004
Genji Monogatari – Effi Briest auf Japanisch
Autor: Fan-Yi Lam
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 23, Seite 15, Oktober 2001
Die bedeutende Geschichte des Prinzen Genji wurde um das Jahr 1000 unserer Zeitrechnung von Murasaki, genannt Shikibu, geschrieben, einer Hofdame der Kaiserin von Japan.
Genji, „der Strahlende“, hat es nicht leicht: Als Kind einer niedrigen Nebenfrau des japanischen Kaisers und mit einem unheilvollem Schicksalsspruch behaftet, ist der schöne, aber schwache Prinz den Intrigen des Kaiserhofes nicht gewachsen. Er flüchtet sich in zahlreiche Affären und findet Freude und Liebe, Schmerz und Trauer in einer dekadenten Welt voller Rituale und Formalitäten.
Genji Monogatari, das bedeutendste Werk der Heian-Periode (794-1192), ist nicht nur eines der wichtigsten literarischen Werke der Weltgeschichte, es ist vielleicht auch der erste „moderne Roman“ (und das im 10. Jahrhundert!), wie wir ihn heute kennen: Sowohl Struktur, Erzählweise als auch Personendarstellung könnten direkt aus der Neuzeit stammen. Insgesamt kann man die „Geschichte von Genji“ in 54 Kapiteln, von denen die ersten 41 allein 1060 Seiten – in übersetzter Form – beanspruchen und 80 (!) handlungstreibende Personen vorweisen, verfolgen.
Genji ist zwar „wunderschön, elegant und gebildet“, für seine gerissene und intrigenhafte Stiefmutter aber eine allzuleichte Beute. Der leidenschaftliche und emotionale Prinz läßt sich von seinen Gefühlen treiben und findet die Höhen und Tiefen des Lebens. Genji ist nicht der starke, mutige Prinz, wie manche ihn gern hätten. Nicht nur sein Aussehen, auch sein Benehmen und seine Denkweise lassen ihn sehr androgyn erscheinen.
Aber selbst gute Freunde und die Flucht in die Arme von 17 Frauen (exklusive namentlich nicht genannter!) können ihm nicht helfen, wirkliches Glück zu erlangen. Immer stärker stürzt er sich in seine eigene Welt. Trotzdem läßt ihn die Realität, die ihm so zuwider ist, nicht los. Um zu überleben, müßte ihm jedoch der unmögliche Balanceakt zwischen den Pflichten der Öffentlichkeit und dem individuellen Glück gelingen…
Wehmut und Resignation sind der Grundtenor dieses Werkes, eine sanfte Melancholie ist allgegenwärtig. Es herrschen die Pinselschwinger und Bürokraten, die sich lieber um ihre Titel und ausufernde Feste kümmern als um das kränkelnde Land. Es ist eine Zeit des Umbruchs: Die aus Kara (China) importierten Gebräuche und Religionen sind dabei, die gesamte Gesellschaft völlig zu verändern: Das Patriarchat wurde eingeführt, der barbarische Yamamoto-Staat gibt sich ganz zivilisiert.
Jeder am Hofe ist nun dem strengen Blick der Gesellschaft ausgesetzt und wer sich nicht profilieren kann, wird schnell nicht nur seine Ämter los. Am kaiserlichem Hof herrscht die reine Anarchie. Und mittendrin die Autorin Shikibu Murasaki, selbst eine Außenseiterin. Über ihre Person weiß man kaum etwas. Weder sind ihre Lebensdaten noch ihr wirklicher Name (Murasaki ist der Name der Hauptheldin) bekannt. Selbst in ihrem Tagebuch gibt sie nur wenig über sich preis.
Sie selbst schreibt: „Man sagt mir, daß ich höflich und freundlich und ganz anders sei, als man von mir geglaubt hatte. Ich weiß, man verachtet mich, aber ich habe mich daran gewöhnt und sage mir: Mein Wesen ist eben so, wie es ist.“. – Vermutlich hat sie von 1002 bis 1015 an dem Roman gearbeitet. Als gebildete Frau ihrer Zeit war sie eine Zielscheibe des Spottes ihrer leichtlebigen Zeitgenossinnen. Ihre hervorragenden Kenntnisse der chinesischen Sprache und Kultur waren sogar ein Tabubruch! Noch dazu war sie eine (stille) Kritikerin der damaligen Verhältnisse.
Nicht selten klagt Genji über die Scheinheiligkeit der Höflinge und den Zwang, sich verstellen zu müssen. Nichtsdestotrotz fanden sich nach ihr immer mehr Frauen, die, ein Beispiel an ihr nehmend, selbst Prosawerke veröffentlichten. Während die an die Kanji (chinesische Schriftzeichen) gebundenen Männer auf der Lyrik festsaßen, konnte sich so innerhalb der Frauengesellschaft, die die modernen, flexibleren Kana (phonetische Silbenschrift) verwendete, eine regelrechte Romantradition (über 200 Werke allein in der Heian-Periode!) bilden. Murasakis Genji blieb dabei das wegweisende Werk.
Sogar in die Männerdomäne des No-Spieles ging sein Einfluß ein, und auch die frühbürgerlichen Schriftsteller Japans im 17./18. Jahrhundert ließen sich von ihm inspirieren. Und selbst heute noch findet er in der Kulturindustrie ausgiebig Verwendung. Nur während der ultrakonservativ-nationalistischen Phase war das Werk als sittenlos und unmännlich verpönt worden. Denn Genji ist alles andere als der todesmutige Krieger, der für seinen Tenno in den Tod gehen würde.
Da das Werk geradezu ein Shoujo-Manga ohne Bilder sein könnte, gibt es natürlich eine Unzahl an eben solchen Adaptionen. Eines davon ist sogar – während der ersten Manga-Welle um 1990 – in Deutschland herausgekommen: Der Manga von WAKI Yamato aus den 80er Jahren ist hier 1992 in drei Bänden erschienen (womit etwa das erste Kapitel des Romans abgedeckt ist). Mit Schutzumschlag, rechts-links-Leserichtung, absolut sauberem Druck und wohl einer der besten Übersetzungen, die ein Manga je erhalten hat. Leider ist er nirgendwo mehr erhältlich. Wer aber unbedingt noch etwas von diesem Meisterwerk erhaschen will, dem bleibt nur die Suche in Antiquariaten, Flohmärkten oder das (Männer-)Klo der Japanologie der FU Berlin zu besuchen (kein Scherz!). Ansonsten muß man sich mit der deutschen Roman-Übersetzung trösten, wenn man an diese herankommt.
Genji als Manga, Roman und Anime:
Manga: Genji Monogatari Deutsche Ausgabe des Manga von YAMATO Waki, 1992 erschienen beim Okawa Verlag, inzwischen vergriffen. ISBN: Band 1: 3-929050-20-X Band 2: 3-929050-21-8 Band 3: 3-929050-22-6
Roman: Die Geschichte vom Prinzen Genji (2 Bände) Die deutsche Übersetzung des Originalwerks von Shikibu Murasaki. Taschenbuch, 611 Seiten, Insel Verlag, Frankfurt/Main Erscheinungsdatum: 1995 ISBN: 3-458333-59-2 Preis: 34,79 DM
Anime: The Tale of Genji 108 Min., engl. sub, VHS NTSC Preis: $16.99 (früher $29.98)
In Urusei Yatsura TV Folge 11 wird die Genji Monogatari parodiert: Während Prinz Ataru Genji hinter allem her ist was weiblich ist, taucht Lum mit ihrem Ufo auf und wird von der „Heian Defense Force“ mit Pfeil und Bogen bedroht…
Gohatto – Tabu: Ein Film von OSHIMA Nagisa
Autor: Elisabeth Wolf
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 23, Seite 19, Oktober 2001
OSHIMA Nagisa führte in den sechziger Jahren die japanische Nouvelle Vague an, er gehörte zur Avantgarde der japanischen Filmschaffenden. Zu den im Westen bekannteren seiner hochgepriesenen wie oftmals kontroversen Werke zählen wohl Im Reich der Sinne (Ai no corrida, 1976), Im Reich der Leidenschaft (Ai no Borei, 1978) und Merry Christmas Mister Lawrence (Furyo, 1983), in dem David Bowie in einer Hauptrolle zu sehen ist.
Nach mehr als 14 Jahren Abstinenz vom Kino, während der er nur einige Fernseharbeiten und eine Dokumentation über die Geschichte des japanischen Kinos gedreht hat, meldet sich Oshima nun mit einem Film über homosexuelle Liebe unter Samurai zurück. Bei Gohatto, was auf Deutsch soviel heißt wie Tabu, handelt es sich um die Verfilmung eines Romans von SHIBA Ryotaro.
Kyoto im Jahre 1865. Die Shinsen-gumi-Miliz rekrutiert junge Männer zur Aufstockung der Truppen. Deren Aufgabe wird es sein, das Shogunat zu stützen, denn das Land befindet sich in einer Phase des Umbruchs, die alte Ordnung wird sowohl vom Einfluß westlicher Mächte bedroht, gegen die sich das alte Japan abzuschotten versucht, als auch durch innere Machtkämpfe und Kräfteverschiebungen.
Was das japanische Publikum weiß: Wenige Jahre nach dem Zeitpunkt der Geschehnisse im Film sollten das Shogunat wie die Kaste der Samurai entmachtet, sämtliche Mitglieder der Miliz exekutiert werden, worauf die Öffnung und Modernisierung Japans folgte. Doch diese zukünftigen Ereignisse werfen noch keinen Schatten des Untergangs auf die Geschichte von Gohatto.
Der Neuankömmling KANO Sozaburo (MATSUDA Ryuhei gibt hier sein Leinwanddebüt), ein erst 18-jähriger Jüngling, bringt Aufregung in die Männergesellschaft. Denn mit seiner androgynen Schönheit verwirrt er die Gefühle und weckt Begierden. Der Unerfahrene kann sich den Avancen und Umwerbungen anderer Truppenmitglieder und auch Vorgesetzter kaum erwehren. Schon allein optisch sticht er heraus, ganz in blütenweiß gekleidet inmitten der schwarzen Gewänder der anderen Truppenangehörigen.
Als Kano ausgewählt wird, als Mutprobe eine Exekution durchzuführen, bewältigt er die Aufgabe – zum Erstaunen aller, da im vermeintlichen Gegensatz zu seiner äußeren Erscheinung – ohne mit der Wimper zu zucken.
KITANO Takeshi spielt HIJIKATA Toshiro, einen Leutnant, der die Szenerie, die sich seinen Augen bietet, eher beobachtet als aktiv an den Geschehnissen teilzunehmen. Stellenweise übernimmt der Film seine Perspektive und man erhält Einblick in seine Gedanken, Ansichten und Kommentare zum Verhalten der Truppenmitglieder.
Doch Sozaburos überirdische Schönheit und die Faszination, die er auf andere ausübt, gefährden mehr und mehr den inneren Zusammenhalt der durch Ehrenkodex, Kameradschaft und Blutzoll zusammengeschweißten Männergemeinschaft. Die Spannung entlädt sich in Gewaltausbrüchen, es kommt zu zunächst ungeklärten Mordfällen.
Oshima widmet sich wieder einmal seinem Lieblingsthema, der Macht der Sexualität, den zerstörerischen Kräften irrationaler Leidenschaften, welche Menschen steuern und sie dazu bewegen, die für das Zusammenleben im Konsens aufgestellten gesellschaftlichen Spielregeln zu brechen und moralische Verhaltensnormen zu überschreiten. Sexualität und Tod verbinden sich bei ihm.
Doch Oshima inszeniert diese dramatisch klingende Handlung sehr entspannt, distanziert von den Figuren und mit Humor – wobei die Charakterkomik dem westlichen Zuschauer oft entgeht.
Der Film wirkt streng durchkomponiert – jede Einstellung hat die Schönheit eines Gemäldes. In Gebäuden dominieren rot-braune Töne, welche die Protagonisten in ein sanftes Licht hüllen und die Atmosphäre der Homoerotik verstärken – der Regisseur kann sich reale sexuelle Szenen größtenteils schenken. Unterstrichen werden die ästhetischen Bildkompositionen durch eine geniale musikalische Untermalung von SAKAMOTO Ryuichi, welche die Harmonien traditioneller japanischer Musik mit der Klangvielfalt synthetisch erzeugter Musik vereint. Sie ist genau auf die Stimmungswechsel der Bilder, wie Lichtwechsel oder Gestiken der Figuren, abgestimmt.
Den Höhepunkt findet der Film in der furiosen Schlußszene, die sich vor dem Hintergrund eines Gewittereinbruchs in einer nächtlichen Moorlandschaft entrollt. Die große Schwäche dieses Werks ist aber die Undurchsichtigkeit des Innenlebens der Figuren. Die Logik ihrer Emotionen und Motivationen ihrer Handlungen sind manchmal so unergründlich, als trügen sie Masken. Dadurch verweigern sie einem jegliches Einfühlungsvermögen, was dazu führt, dass der Film sehr unterkühlt wirkt. Dieses Problem liegt nicht nur in der Unkenntnis östlicher Umgangsformen des westlichen Betrachters.
In der Schweiz ist Gohatto bereits Mitte Mai 2001 in den Kinos angelaufen, für Deutschland scheint sich bisher kein Verleih gefunden zu haben. Falls Gohatto nicht mehr in die deutschen Kinos kommen sollte, bleibt ein Trost: Da der Film eine französische Koproduktion ist (finanziert u. a. von Canal+) und er in Frankreich auch auf mehr Aufmerksamkeit gestoßen ist als in der Schweiz, ist es recht wahrscheinlich, dass er früher oder später auf Arte ausgestrahlt werden wird. Wem dies zu unsicher ist oder einfach nicht solange warten will: Die japanische DVD ist kürzlich erschienen und enthält sogar englische Untertitel.
Gohatto – Tabu
Drehbuch und Regie: OSHIMA Nagisa
Darsteller: KITANO Takeshi, TAKEDA Shinji, ASANO Tadanobu, MATSUDA Ryuhei
Musik: SAKAMOTO Ryuichi
Produktion: Bac Films
Entstehungsjahr: 1999
Alterseinstufung: ab 16 (Schweiz)
Beteiligte Länder: Japan, Frankreich, Großbritannien
Spieldauer: 100 Minuten