Eine Ranma ½ Fanfiction von Sebastian Weinberg
„E-he-he-he-he-heh!„
Das Lachen des alten Weibes jagte ihm einen Schauer über den Rücken. „Was willst du von mir?“ rief er.
„Ich?“ Die alte Frau spielte unschuldig. „Was sollte ich von einem jungen Spund wie dir wollen? Ich möchte lediglich geben. Ratschläge.“
„Ich brauch‘ keine Ratschläge!“ Er hüpfte kerzengerade nach oben auf ein Dach und dann hinweg über die angrenzenden Häuser. Erst als er deutlich von der Straße entfernt war, erlaubte er sich anzuhalten. Er wußte nicht, was die alte Hexe wollte, aber es interessierte ihn nicht; er hatte ohnehin schon genug Ärger.
„E-he-he-heh!“ Er zuckte zusammen, als er das unverwechselbare Lachen erneut hörte. Er drehte sich um, und dort war sie und betrachtete ihn anerkennend. „Du bist ein recht ordentlicher junger Sportsmann, wenn’s nach meinem Urteil geht.“
Sein Haar stand ihm zu Berge, teilweise vor Schreck, aber auch vor Wut. „Ich hab‘ dich gewarnt, alte Hexe! Jetzt mußt du die Konsequenzen tragen.“ Er sprang mit ausgestrecktem Bein auf sie zu – nicht wirklich um sie zu verletzen, sondern mit der Absicht, sie abzuschrecken. Das letze was er sah, war wie ihre Hand vorwärts huschte, bevor er sich außer Kontrolle in Richtung Straße taumelnd wiederfand.
Er war nicht ohne Grund der beste Kampfsportler in Nerima, und so schaffte er es, sich wieder zu fangen und auf den Füßen zu landen – aber es war knapp.
„E-he-he-heh! Das war ein schlampiger Tritt, Söhnchen. Es tut weh, so unterschätzt zu werden.“
Der beste Kampfsportler in Nerima zu sein ist unglücklicherweise nicht gerade dafür geeignet Bescheidenheit zu lernen, und der Spott ließ seine Wut aufflammen. „Ich war nachsichtig, weil du so ein altes Wrack bist. Aber wenn du darauf bestehst, halte ich mich nicht mehr zurück.“
„Tu dein bestes, Jungchen,“ grinste die Alte.
Der geringschätzige Ton ihrer Stimme war alles, was es brauchte. Diesmal ließ er keine Blöße in seinem Sprung. Der Tritt war blitzschnell und so präzise wie ein computergesteuerter Laser. Er war ziemlich erstaunt, als er nichts traf. überhaupt nichts. Das alte Weib war verschwunden.
„Das war besser. Wenn du nur nicht so langsam wärst.“
Die Stimme in seinem Ohr ließ ihn vor Schock erstarren. Die alte Frau saß auf seinem Rücken! Wie ein Wirbelwind drehte er sich, um sie abzuschütteln, aber sie war schon längst wieder fort. Sie stand neben ihm und beobachtete ihn amüsiert. Keuchend und wütend starrte er sie an. „Du möchtest also Geschwindigkeit? Wie wär’s mit einer Kostprobe von gerösteten Kastanien?“
Seine Hände bewegten sich schneller als das Auge zu folgen vermochte. Dutzende und aberdutzende von Schlägen prasselten auf die alte Frau ein wie ein Gewitter. Es dauerte einige Sekunden bevor er bemerkte, daß keiner davon sie tatsächlich traf.
Sie parierte! Und parierte obendrein mit stetig wachsender Geschwindigkeit. Sie blockiert bereits jeden einzelnen Hieb, den er austeilte, und nun fing sie an, zurückzuschlagen. Zwischen ihren Paraden langte sie sie einfach vorwärts und ohrfeigte ihn – ohne ihn dabei zu verletzen, aber es reizte ihn um so mehr. Schließlich sah er die Sinnlosigkeit seines Angriffs ein und trat schwer atmend zurück. Die alte Frau schwitzte nicht einmal.
Ein resignierter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Es brachte einfach nichts; besser die alten Hexe gewähren lassen und es hinter sich bringen. „Also gut! Ich höre. Sag was du sagen willst.“
„E-he-he-he-heh! Das ist schon besser, Söhnchen. Du bist hundert Jahre zu früh dran, um mich zu besiegen. Aber sei mal nicht zu deprimiert. Eines Tages werd‘ ich so richtig alt und ‚runtergekommen sein, und vielleicht bist du dann immer noch jung – dann wärst du in der Lage, mich zu besiegen. Falls deine Liebste dich nicht vorher zu Brei schlägt.“
Ihm brach der Schweiß aus. Besser er steuerte das Gespräch in eine andere Richtung. „Na ja, die meiste Zeit bekämpfen sich meine Verlobten ja gegenseitig, und nicht mich.“ Schließlich wußte ja jeder von seinem ‚Verlobten-Problem‘.
„Heh! Spiel hier nicht den Dummen, Söhnchen. Du magst ja jede Menge Mädchen hinter dir her haben, aber nur eine davon ist deine Liebste.“
Das rüttelte ihn wach. Nicht jeder wußte das. Vorsichtig stieß er vor, „Also, wenn du so gut bescheid weißt, was willst du dann?“
Bevor er reagieren konnte, war sie direkt vor seinem Gesicht und kniff ihn in die Nase. „Nicht so vorlaut, Junge. Ich mein’s ernst. Wann sagst du’s ihr, hä? Mach das besser bald, oder es könnte zu spät sein.“
Der Zorn, der bei dieser Bemerkung aufflammte, verlieh ihm Geschwindigkeit jenseits aller Vorstellung. Seine Faust erwischte sogar die Alte unvorbereitet und warf sie zurück. Er rief, „Wage es bloß nicht! Niemand bedroht…“
„Oh, sei still! Ich bedrohe gar nichts. Ich sag‘ doch ich will nur Ratschläge geben,“ sagte die weißhaarige Alte, während sie ihren Kopf an der Stelle rieb, wo er sie erwischt hatte. „Glaubst du es geht für immer so weiter? Eines Tages – früher als du glaubst – wird etwas passieren, und du wirst bereuen es ihr nie gesagt zu haben. Hör auf mich! Du glaubst eine Meute Verlobte zu haben sei schlimm – aber stell dir mal vor eine weniger zu haben. Diese eine.“
Sein Herz schmerzte beim bloßen Gedanken daran, und sein Atem stockte. Aber er würde es nie zugeben. Nicht vor ihr. „Was weißt du denn schon über Probleme mit zu vielen Mädchen?“ schoß er zurück.
Er hatte ihr Gackern vorher für beunruhigend gehalten, aber jetzt brach sie in solch heulendes Gelächter aus, daß er beinahe die Hände auf die Ohren preßte um es loszuwerden. Sie fing an, wild um ihn herum zu tanzen, stiess ihn immer wieder und rief „Ich weiß bescheid, ich weiß bescheid!“ Er war kurz davor eine richtig starke Ki-Attacke loszulassen, als plötzlich ein Holzhammer aus dem Nichts auftauchte und die uralte Frau in den Boden rammte.
„Also wirklich, ist das eine Art sich auf die alten Tage zu benehmen?“ fragte die neu angekommene Person.
Er erkannte die Stimme, drehte sich um und sah seine neue Nachbarin Saotome Akane. Ihr kurzes, graues Haar war ein wenig zerzaust von dem gewaltigen Schlag, den sie gerade ausgeteilt hatte. Er war beeindruckt. Er wußte ja das die alte Dame ziemlich robust für ihr Alter war, aber daß sie diese alte Hexe mit einem einzigen Schlag eines gigantischen Hammers ausschalten konnte – wow!
Auf Frau Saotomes großmütterlichem Gesicht entstand ein runzliges Lächeln. „Es tut mir wirklich leid, äh, Noukirou, stimmt’s? Ich nehme an, du hast dir deine neue Nachbarschaft friedlicher vorgestellt.“
Noukirou lachte. „Nee, es war überall verrückt, wo ich auch hingekommen bin – ich schätze die Verrücktheiten ziehen mit mir um.“
„E-he-heh!“ kam es unter dem Hammer hervor. Langsam hob er sich, und die alte Hexe krabbelte hervor. „Da würd‘ ich nicht drauf wetten, Söhnchen. Diese Gegend ist schon seit Ewigkeiten verrückt.“
Frau Saotome tappte mit dem Fuß auf. „Und du hast dich bloß angepaßt, was? Worum ging es hier überhaupt?“
Er war erstaunt zu sehen, wie das alte Weib beschämt zu Boden blickte und murmelte, „Ich wollt‘ ja bloß ’n bißchen Rat geben, wegen seinen Verlobten und so…“
„Ach? Und die ganze Keilerei ist bloß zufällig passiert?“ fragte Frau Saotome. Sie hörte sich genauso an wie seine Großmutter, wenn sie seinen Vater ausschalt. Sie wandte sich ihm zu. „Ich hoffe du bist nicht verletzt, Noukirou, und ich freue mich darauf, dich under besseren Umständen kennenzulernen. Sag, warum besuchst du uns nicht einmal zu hause? Du weißt wo das ist?“
„Oh ja. Die Tendou-Saotome Kampfsportschule, nur ein Stück die Straße entlang von unserem Haus, richtig?“ Er lächelte die alte Dame an und nickte der Hexe zu. Frau Saotome packte sie an ihrem Zopf und begann, sie mit sich zu schleifen.
Das alte Weib sah ihn an und rief die Straße herunter, „Denk drüber nach was ich gesagt hab‘, Söhnchen! Denk darüber nach.“
Er sah den zwei Frauen verwundert nach. Als sie zu einer Straßenecke kamen, sagte die Hexe, „Hör auf mich hinterher zu schleifen, altes Mannweib!“ und riß sich los. Er sah, wie die beiden sich bei einander einhakten, lächelten und schließlich um die Ecke verschwanden. Er schüttelte den Kopf. Was für eine seltsame alte Frau.
©Sebastian Weinberg